Dienstag, 31. Mai 2016

Deine Geschichte, meine Geschichte, unsere Geschichten...

Kennt ihr das, wenn ihr jemanden seht und beobachtet, weil diese Person euch irgendwie fasziniert? Ihr fragt euch irgendwann was diese Person wohl denkt oder wieso sie das tut was sie tut.
Wie heißt diese Person?
Wie alt ist sie?
Woher kommt sie und was macht sie hier?

Auf der Autobahn, wenn man im Bus sitzt oder auf einer Raststätte Pause macht, überall sieht man Leute, geht an ihnen vorbei, sieht ihr Gepäck, ihre vollgepackten Autos, Aufkleber von Freizeitparks, Schriftzüge von Festivals, Kinder, die hinten im Auto sitzen und vielleicht gerade "Ich sehe was, was du nicht siehst" spielen.

Vorgestern habe ich auf einer Raststätte einen Typen gesehen, sein Autokennzeichen verriet, dass er aus Holland kam, er sah müde aus, hatte Augenringe und er zog hastig an seiner Zigarette. Seine Haare waren kurz, das große Auto leer. Seine Cola stellte er neben den Mülleimer, dann saß er 5min im Auto, rieb sich die Augen, lehnte sich zurück, schaute auf sein Handy und atmete einmal tief durch - dann fuhr er los. Wieso war er so kaputt? Kam er an diesem Tag direkt aus Holland zu uns in den Norden? Dafür hatte er zu wenig Gepäck. Braucht er vielleicht einfach jemanden zum Reden? Warum ist er so alleine?

Ich beobachte und mache mir Gedanken. 
"Es geht dich nichts an!" "Wieso interessiert es dich?"

Anfang des Monats bin ich Zug gefahren, in Hamburg umgestiegen und stand dann neben einem Mädchen, ungefähr in meinem Alter, welches einen riesigen Koffer dabei hatte. Leuchtende Augen, schnell tippende Finger auf dem Display, ein Grinsen umspielte ihre Lippen, ihre blonden Haare waren zerzaust vom Rennen, aus der Tasche lugte ein Buch - "Seelen" - ich musste lächeln. Ihre gute Laune so früh am Morgen, um halb 8, steckte an und dann schaute sie hoch, sah sich um, erblickte mich und fragte, ob hier der Zug nach Kassel fährt, ich hab kurz überlegt und dann genickt. 
Wir saßen nicht in einem Abteil, sonst hätte ich eventuell meine Fragen gefragt. Woher kam sie? Warum freute sie sich so? Sah sie nach längerer Zeit ihre Familie wieder oder ihren Freund? An welcher Stelle von dem Buch war sie wohl schon? 

Die Fragen brennen in meiner Kehle und ich muss mich zurück halten nicht damit heraus zu platzen.
"Wieso sollte sie dir das erzählen?" "Ich würde es gruselig finden!"

Selber Tag, im Zug Richtung Fulda (der auch nach Kassel fuhr). Statt dem Mädchen saß mir nun ein Mann mittleren Alters gegenüber. Knapp 4std. saßen wir alleine in unserem Abteil, lasen unsere Bücher, passten gegenseitig auf unsere Taschen auf, wenn wir mal wohin mussten und unterhielten uns dann und wann über das Wetter und die Baustellen, die uns auf unserer Strecke noch behindern sollten. Er fragte wo ich hin soll, interessierte sich für mein Vorhaben in Fulda und entschuldigte sich so aufdringlich zu sein. Grinsend fragte ich zurück - endlich jemand der auch so neugierig ist.

Ich halte mich zurück, frage nicht alle Fragen, vor allem nicht, wenn es sich um fremde Leute handelt. Gedanken kommen in meinen Kopf, Geschichten entstehen, ich verbinde die Menschen miteinander - früher habe ich damit meine Hefte gefüllt, Seiten voller Text, entstanden durch Bilder, die ich mit den fremden Menschen in Verbindung brachte.

Kennt ihr diese Momente am Bahnhof oder am Flughafen? Menschen, die sich in die Arme fallen, Augen voller Tränen, weil man sich verabschieden muss? Endlich sieht man sich wieder - Familien verteilt auf verschiedene Kontinente, Fernbeziehungen innerhalb Deutschland oder tausende Kilometer getrennt. Freundinnen, die sich ein Jahr lang nicht sehen, die Schwester, welche als Au Pair fort geht. 
Die Angst vor dem Vermissen, dem Vergessen, die Freude sich wieder zu haben, wiederzusehen. 
Wohin reist der junge Mann mit dem großen Rucksack? Work and Travel in Australien? Vielleicht auch 3 Monate Forschungen für sein Biologie Studium in Alaska? 
Woher kommt das gebräunte Mädchen, welches nun auf eine Gruppe zu rennt, die auf sie wartet, sie in die Arme schließt und ganz doll drückt? - "Welcome back, Lina!" steht auf dem Banner, der nun zu Boden fällt. 

Wir kennen sie nicht, wir sehen sie kurz, ein Wimpernschlag und das Gesicht ist vergessen, aber manchmal sehen wir mehr, wir beobachten und analysieren.

Es sind die Geschichten der anderen, die uns ab und an mehr als alles andere interessieren und unsere eigenen Probleme vergessen lassen. Wir kennen die Menschen nicht, nicht richtig - selbst den Youtuber, dessen Videos wir jeden Tag sehen oder die Blogger-Kolleginnen, denen wir bei Snapchat tagtäglich zusehen, nicht. 

Alle haben eine Geschichte - Du hast deine, ich hab meine und das ist gut so, denn wir schreiben jeder in unsere Hefte und manchmal verbinden sich unsere Texte, verbünden sich miteinander. 
Es ist gut nicht alles zu wissen, sich selbst Gedanken zu machen, aber mnchmal sollte man vielleicht wirklich genauer hinsehen - wir können Menschen zum Lächeln bringen, indem wir Komplimente verteilen, wir können fremde Menschen trösten, indem wir unsere eigene Geschichte erzählen, wir können die Zeit im Stau damit verbringen mit fremnden Menschen zu picknicken, so vieles kann passieren, wenn wir einander mehr zusehen und unsere Geschichten anhören.



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2 Kommentare: